Am 2. Juli 1878 beschäftigte sich der Zentralausschuss der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft erstmals mit der Gründung von Genossenschaften.1 Die weitere Entwicklung lesen Sie hier: Genossenschaftswesen in der Provinz Hannover.

Einen wichtigen Schritt zur Förderung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens brachte das Jahr 1885.1 In der Sitzung vom 3. September wurde die probeweise Anstellung eines „Wanderlehrers“ zur Förderung der „Lebensversicherung, der Raiffeissenschen Darlehnskassenvereine und der landwirtschaftlichen Konsumvereine“ beschlossen. Nach einer Probezeit, die vom damaligen Stelleninhaber nur nebenamtlich bekleidet werden konnte, wurde in der Sitzung vom 30. Januar 1886 beschlossen, diesen lieber nicht anzustellen, „weil die volle Tätigkeit eines Mannes erforderlich sei, um die durch die Anstellung eines Wanderlehrers beschäftigten Zwecke zu erreichen“. In derselben Sitzung gelang es, den Wanderlehrer August Fricke zu gewinnen. Dieser begann seine Tätigkeit am 17. Februar 1886.2

Genossenschaftlicher Wanderlehrer August Fricke, Aufnahme etwa aus dem Jahre 1890 (Quelle: 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig)

 

Herkunft und Ausbildung

August Fricke wurde als Sohn eines Bauern am 17.02.1848 in Welsede bei Hameln geboren. Er verstarb am 18.02.1934 in Hannover.3

Nachdem er in Münster unter der Leitung des damaligen Wanderlehrers für Westfalen, Martin Faßbender (1856 – 1943), in das Wesen der Raiffeisenschen Spar- und Darlehnskassenvereine eingeführt worden war, beschäftigte er sich mit dem ihm bis dahin völlig fremden Gebiet der Buchführung und Revisionstätigkeit. Unter dem Verbandsrevisor Carl Felix Kirchem und bei der Zentralkasse absolvierte er eine Lern- und Übungszeit. In Darmstadt (Hessen) und in Kiel ließ er sich die Kenntnisse über Kunstdüngerhandel usw. vermitteln. Sehr interessant ist der Hinweis, dass sich der Ökonomierat Karl Boysen (Generalsekretär des landwirtschaftlichen Hauptvereins in Kiel) und auch Wilhelm Biernatzki (Geschäftsführer des Verbandes schleswig-holsteinischer landwirtschaftlicher Konsumvereine) seiner wohlwollend annahmen. Es ergibt sich hier eine interessante Parallele zum beruflichen Werdegang von Peter J. Johannssen.4

 

Fricke als Wanderlehrer in Hannover – auf Mission

Dann begann August Fricke seine Mission in den heimischen landwirtschaftlichen Vereinen und Ortsversammlungen der Provinz Hannover!

Die Verantwortlichen hatten ihm die Förderung der Lebensversicherung zur Aufgabe gemacht. Damit wurde die Förderung der Spar- und Darlehnskassen zunächst seine Hauptaufgabe. August Fricke musste erhebliche Widerstände überwinden, da es nur Einzelne gab, die die Chancen für die ländliche Wirtschaft sahen, die mit der Gründung von Genossenschaften verbunden waren. Die meisten verhielten sich abwartend, oft misstrauisch. Hinzu kam, dass sofort viele Gegner auf den Plan traten, die Nachteile für ihre Unternehmen befürchteten, etwa Geldverleiher und sogenannte „Wucherer“. Die Sparkassen durchkreuzten freilich ihr Geschäftsmodell. Auch beschreibt Fricke in einem Aufsatz seine persönlichen Erlebnisse, etwa wie in den ersten Jahren die Vertreter der öffentlichen Sparkassen, der Kreis-, Kommunal- und Stadt-Sparkassen, die Spar- und Darlehnskassen als Eindringlinge, ja gar als Schädlinge ansahen.4

Im landwirtschaftlichen Hauptvereinsbezirk Göttingen gelang schließlich der Durchbruch mit Gründungen in Echte und Calefeld. In seiner Heimat, im Kreis Hameln, gelangen ihm gleich im ersten Jahr sechs Neugründungen: in Amelgatzen, Börry, Kirchohsen, Lauenstein, Coppenbrügge und Salzhemmendorf.5 In die Amtszeit von August Fricke (17.2.1886 bis 01.10.1914) fallen 1.675 Gründungen von Genossenschaften in der Provinz Hannover:

 

Quelle: Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens des Verbandes hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e. V., zu Hannover, S. 26

 

Auch die Verteilung der Genossenschaften auf die in Hauptvereinsbezirke organisierten Bauernvereine gibt Aufschluss auf die Gründungsaktivitäten, die durch die Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (ab 1899 Landwirtschaftskammer Hannover) in Verbindung mit dem 1889 gegründeten Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften gezeigt hat.

Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens des Verbandes hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e. V., zu Hannover, S. 27.

 

August Fricke bezog im Jahr 1886/1887 als Wanderlehrer ein Gehalt von M 2.400 sowie Reisekosten von M 2357,05. Er hielt in dieser Zeit 60 Vorträge (Hannover 19, Hildesheim 8, Göttingen 11, Lüneburg 10, Bremervörde 5, Osnabrück 5, Arenberg-Mepen 1, Ostfriesland 1).6 Die damalige Bauernvereinigung der Grafschaft Bentheim gehörte zum Hauptbezirk Arenberg-Meppen, Grafschaften Bentheim und Lingen.7

 

Fricke in der Grafschaft

Nachweislich war August Fricke in seiner Funktion das erste Mal in unserer Grafschaft am 14. Februar 1903. Ob er an anderen Gründungen beteiligt war, konnte bisher nicht nachgewiesen werden. (Sollten Sie über Quellen verfügen, die eine weitere Tätigkeit nachweisen, freuen wir uns auf eine Kontaktaufnahme.) An diesem Tag wurde die Spar- und Darlehnskasse eGmuH in Altendorf (Nordhorn) gegründet. Im Gründungsprotokoll wird Fricke als Schriftführer genannt.8

Dem Genossenschaftsregister beim damaligen Königlichen Amtsgericht zu Neuenhaus wird am 11. März 1903 die Aufnahme in den Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e. V. zu Hannover durch den Verbandsdirektor Peter J. Johannßen bescheinigt. Dies beweist eindeutig, dass in der Grafschaft alle Genossenschaften auf dem Konzept von Wilhelm Haas basieren – warum wir also „nicht wirklich Raiffeisen sind“. Laut Generalversammlungsprotokoll wurde die Genossenschaft allerdings am 28. September 1951 aufgelöst – die Situation der Genossenschaftsbank war offenbar aussichtslos… mehr dazu in einem unserer nächsten Beiträge.9

 

Unbestritten: Dem Wanderlehrer August Fricke kommt ein erheblicher Verdienst an der Entwicklung des Genossenschaftswesens in der Provinz Hannover zu10

Während seiner Amtszeit verfasste Fricke etliche Beiträge, hielt Vorträge und absolvierte etliche Beratungen. Ein Unternehmensberater seiner Zeit also – Autor, Referent, Berater vor Ort in den dörflichen Bauernvereinen, Revisor, Einweisung von Rendanten in die Grundlagen der Buchführung, Molkerei-Instrukteur, Volkswirt, Düngemittel- und Saatgutberater! Damit verhalf er den weitsichtigen Ideen von Peter J. Johannßen zur Umsetzung. Wie viele Kilometer muss er dabei  wohl – unter den damaligen Verkehrsverhältnissen – durch die Lande reisen? Unermüdliche 28 Jahre bis zu seinem Renteneintritt zum 30.09 1914.

„Er hatte eine volkstümliche Art zu sprechen und besaß die Gabe, seine Zuhörer mitzureißen und zu überzeugen. So wurde August Fricke zum Verkünder des Genossenschaftsgedankens und zum Pionier des ländlichen Genossenschaftswesens in der Provinz Hannover“.11

Quelle: Stiftung Geno Archiv in Hanstedt: https://www.genoarchiv.de/ rechts, August Fricke, in 1911 beim Sommer-Seminar des damaligen Instituts in Hameln. Herzlichen Dank dem Geno Archiv für diesen Fund !
vordere Reihe, dritter von Milchwirtschaftlichen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Nachfolger von August Fricke ab 1. Oktober 1914 wurde ernannt der damalige Wanderlehrer und spätere „wissenschaftliche Genossenschaftsbeamte der Landwirtschaftskammer Hannover, Rühling“.12

 

 

1. NLA Hannover, Hann. 122A Nr. 6630, Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens des Verbandes hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. zu Hannover 1889-1914, 1914, S. 6.

2. Meyerholz, Heinrich: 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig, S. 18.

3. Lüer, Rolf: Sozialer Anspruch und ökonomische Rationalität, S. 124 u. 127.

4. Meyerholz, Heinrich: 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig, S. 18-19; Zu Kirchem und Faßbender siehe Schlütz, Frauke: Kreditgenossenschaften in Westfalen im 19. Jahrhundert. In: Das Finanz- und Bankenwesen in Westfalen vom 18 bis 20. Jahrhundert (Westfälische Forschungen 67), 2017, S. 143-162, hier bes. 156-159 sowie Schlütz, Frauke: Ländlicher Kredit. Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889-1914) (Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung 25), Stuttgart 2013, u.a. S. 176-186; Zur Wucher-Problematik siehe zeitgenössisch zum Beispiel Verein für Socialpolitik: Der Wucher auf dem Lande: Berichte und Gutachten Schriften des Vereins für Socialpolitik  (Schriften des Vereins für Socialpolitik, 35), Leipzig, 1887.

5. Meyerholz: 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig, S. 20.

6. Hannoversche Land- und Forstwirtschaftliche Zeitung, Jahrgang 1887, S 861-868.

7. NLA OS Rep 430 Dez. 501 Akz. 27/43 Nr. 38.

8. NLA OS Rep 950 Nordh Akz. 201894 Nr. 8

9. NLA OS Rep 950 Nordh Akz. 201894 Nr. 9

10. Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens des Verbandes hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. zu Hannover 1889-1914, 1914, S. 7.; Meyerholz, Heinrich: 50 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig, S. 26; Meyerholz: 65 Jahre, Seite 16-21.

11. Meyerholz: 65 Jahre, S. 12.

12. Unternehmensarchiv der Grafschafter Volksbank eG, 1-1 und 11-6, Gründungsprotokoll und Generalversammlungsprotokoll der Spar-und Darlehnskasse Schüttorf eGmuH.