Die einzelne Genossenschaft, sei es Kreditgenossenschaft, Molkereigenossenschaft oder Bezugs- und Absatzgenossenschaft, hätte, ohne den Anschluss an einen Verband oder die Mitgliedschaft bei Zentralgenossenschaften (wie z.B. Zentralkasse oder zentrale Einkaufsgenossenschaft), ihre Aufgaben allein vermutlich nicht so effizient und kostengünstig bewältigt. Die Vorstandsmitglieder und Rendanten (Geschäftsführer) waren keine Bankkaufleute, verfügten in der Regel über keine oder nur wenig kaufmännische Kenntnisse. Juristisches Know-how, das zur Gründung einer Genossenschaft notwendig ist, etwa für die Formulierung des Statutes unter Berücksichtigung der Gesetzgebung, fehlte ebenfalls. Dieses Wissen brachten die Verbände ein. Zugleich ist freilich der interessenpolitische Einfluss weitaus größer in einem Zusammenschluss…

Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. (Sitz: Hannover)

Der Verband wurde am 5. September 1889 – also knapp einen Monat vor Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes – als „Revisionsverband landwirtschaftlicher Genossenschaften in der Provinz Hannover und dem Hamburger Gebiet“ gegründet. Das Geschäftsgebiet umfasste vor allem die Provinz Hannover, wozu auch die Grafschaft Bentheim gehörte. 1891 erfolgte die Umfirmierung in „Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften“. Diesem Verband waren alle ländlichen Kreditgenossenschaften im Stammbaum der Grafschafter Volksbank angeschlossen (also alle außer Nordhorn).1 

Organisiert und institutionalisiert vorangetrieben wurde die Gründung von Genossenschaften seit den 1880er Jahren durch das Engagement der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft und der landwirtschaftlichen Vereine. Mit diesem Engagement, nicht zuletzt durch die Aufklärungsarbeit der Wanderlehrer – zunächst, ab 1886, August Fricke, ab 1914 Rudolf Rühling -, in den Orten entstanden in den 1880er Jahren eine größere Anzahl von neuen Genossenschaften, die bis zur Gründung des hannoverschen Verbandes teils der Zentralkasse in Münster angeschlossen waren. Die Münsteraner Zentralkasse nahm die Revisionen vor, da es einen Revisionsverband als solchen noch nicht gab. Die Grundlage für die Verbände war letztlich das Genossenschaftsgesetz vom 1. Oktober 1889.2

Am Ende des Gründungsjahres gehörten dem hannoverschen Verband 53 Genossenschaften an, darunter 24 Kreditgenossenschaften. Der Verband war – ganz wie Haas‚ Reichsverband – ein Verband für alle Genossenschaften, also für Kreditgenossenschaften, Molkereigenossenschaften, Bezugs- und Absatzgenossenschaften usw. Darin kommt die Idee zum Ausdruck, dass erst die Kombination aus diesen verschiedenen Einrichtungen in einem Ort zur Verbesserung der Lage der ländlichen Bevölkerung beitrug und so die im Genossenschaftsgesetz in § 1 formulierte Förderung der Wirtschaft der Mitglieder verwirklicht werden konnte (Förderauftrag). Am 27. März 1890 erhielt der Verband das Recht zur Bestellung von Revisoren. Ein wichtiger Schritt! Dazu in einem unserer nächsten Beiträge mehr… Bis 1891 leitete den Verband der Verbandsdirektor Theodor Roßmann, Rittergutspächter aus Hannover. Von ihm übernahm das Amt Peter Johannßen, 1889 bis 1899 der Generalsekretär der Königlichen Landwirtschafts-Gesellschaft und später, von 1899 bis 1924, Direktor der neu gegründeten Landwirtschaftskammer Hannover.

Im Laufe der Jahre baute der Verband seine Abteilungen auf und aus. Und damit auch seine Services für die Mitgliedsgenossenschaften. Seit dem 1. Januar 1901 bestand beim Verband eine Bücherprüfstelle. Hierhin konnten die Genossenschaften ihre Haupt- und andere Kontenbücher senden, die dann – zwischen den alle zwei Jahre stattfindenden Revisionen – geprüft wurden, um mögliche Fehler bereits frühzeitig aufzuspüren. 1918 wurde zudem eine Steuerberatungsstelle beim Verband eingerichtet, um die Genossenschaften in steuerrechtlichen Fragen unterstützen zu können. Beide Einrichtungen fanden „lebhaften Zuspruch“ bei den Genossenschaften, heißt es in einem 1926 veröffentlichten Taschenbuch des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften.3 Wichtig waren die Buchführungskurse für die Rendanten (Geschäftsführer der Genossenschaften), die mehrmals, meist im Winter (wenn in den landwirtschaftlichen Betrieben keine größeren Aufgaben anfielen) abgehalten wurden.

Insgesamt beurteilte der Verband die Entwicklung wenig euphorisch; 1914 – anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Verbandes – ist in einer Festschrift zu lesen: „Der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft zeitigte die >Dorfbank<, die Spar- und Darlehnskasse, die Erfindung der Milchschleuder und die damit in Verbindung stehende Überlegenheit des Molkereigroßbetriebes die Molkereigenossenschaft. Der zunehmende Bedarf an künstlichen Dünge- und Futtermitteln und die Notwendigkeit der Lieferung guter Ware war die Veranlassung, Konsumvereine oder Bezugsgenossenschaften ins Leben zu rufen. So genossenschaftlich geschult, wurde überall dort die Form des genossenschaftlichen Zusammenschlusses gewählt, wo sich dafür ein wirtschaftliches Bedürfnis einstellte; gekünstelt ist hierbei nur ausnahmsweise, ebensowenig wie die in einer gewissen Hurrastimmung gegründeten Genossenschaften zu den Seltenheiten gehören. Derartige der Sache und den beteiligten nicht dienlichen Gründungen haben die verantwortlichen Stellen – neben dem Verbande die landwirtschaftlichen Vereine, an ihrer Spitze früher der Zentralauschuß der Königlichen Landwirtschafts-Gesellschaft, jetzt die Landwirtschaftskammer – zu verhindern gesucht; sie fanden aber im allgemeinen auch keinen Boden bei unserer nüchternen und sachlich urteilenden ländlichen Bevölkerung.“4

Dennoch – trotz „sachlicher Nüchternheit“ oder auch gerade deshalb und trotz des Ersten Weltkrieges, oder auch gerade wegen dessen Folgen – stieg die Zahl der Genossenschaften, die dem Verband in Hannover angeschlossen waren (also ohne Volksbanken), bis 1925 auf 2.426. 1.000 mehr als noch 1914. Die Zahl der Kreditgenossenschaften war seit 1914 von 517 auf 763 gestiegen. Unter diesen Nachkriegsgründungen die Banken, die heute im Stammbaum der Grafschafter Volksbank eG zu finden sind.

Entwicklung des Genossenschaftsverbandes - angeschlossene Mitglieder (Gründung bis Erster Weltkrieg) (Quelle: 25 Jahre Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften 1899-1914, S. 25).
Entwicklung des Genossenschaftsverbandes – angeschlossene Mitglieder (Gründung bis Erster Weltkrieg) (Quelle: 25 Jahre Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften 1899-1914, S. 25).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zentralgenossenschaften

Am 22. Januar 1890 wurde dann auch eine eigene Geldausgleichsstelle (Zentralbank) gegründet: die Landesgenossenschaftskasse (später Landesgenossenschaftsbank eGmbH). Im gleichen Jahr wurde die Zentralgenossenschaft der Osnabrücker landwirtschaftlichen Konsumvereine eGmbH gegründet. 1893 erfolgte die Gründung einer gemeinsamem Zentraleinkaufsstelle, der Haupt-Genossenschaft eGmbH, für alle dem Verband angeschlossenen Genossenschaften. Wichtige Aufgaben waren der Absatz von Eiern sowie die Viehverwertung. Auf „Anregung der Landwirtschaftskammer schlossen sich 1913 die Viehverwertungsgenossenschaften der Provinz Hannover zur Zentralgenossenschaft für Viehverwertung, e.G.m.b.H. , in Hannover, zusammen„.5 1920 folgte die Gründung einer weiteren Zentralgenossenschaft: der Zentralimkergenossenschaft Hannover eGmbH.

Verband für die Gewerbebanken

Der „Hauptverband deutscher gewerblicher Genossenschaften e.V.“ wurde 1901 von Karl Korthaus gegründet. Für die Volksbanken der Handwerker und Gewerbetreibenden bestand zwar schon seit 1864 der „Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“, gegründet von Hermann Schulze-Delitzsch, dieser neue, in Osnabrück ansässige Verband, war jedoch stärker handwerkerorientiert. Die beiden Verbände fusionierten 1920 zum „Deutschen Genossenschaftsverband e.V.“ mit Sitz in Berlin. Bis 1936 hatte dieser Verband selbst kein Revisionsrecht, sondern nur seine Bezirksverbände, beschränkte sich daher auf die Ausgabe von Musterstatuten und Dienstanweisungen, die Formulierung von Prüfungsregeln und die interessenpolitische Vertretung.6

 

 

1. Die erste Spar- und Darlehnskasse im Verbandsgebiet war bereits 1873 gegründet worden. Gerade für das Gebiet des Hannoveraner Verbandes und insbesondere für die Grafschaft Bentheim waren die Molkereigenossenschaften von besonderer Bedeutung. In Nordhorn wurde die erste 1886 gegründet, dann aber privatisiert. Es folgten weitere Gründungen, u.a. in Emlichheim (1908). Zu den Gründungen in der Grafschaft Bentheim siehe Rötterink, Albert: Das Genossenschaftswesen in der Grafschaft Bentheim, in: Bentheimer Jahrbuch 1995.

2.  25 Jahre Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften 1899-1914, S. 8; siehe auch hierzu Guinnane, Timothy W. / Schlütz, Frauke: The operations of cooperative “Centrals” in Germany in the decades before World War I (Paper, 2012).

3. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zu Berlin: Taschenbuch für landwirtschaftliche Genossenschaften, Berlin, 1926, S. 276.

4. 25 Jahre Verband hannoverscher landwirtschaftlicher Genossenschaften 1899-1914, Vorwort.

5. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zu Berlin: Taschenbuch für landwirtschaftliche Genossenschaften, Berlin, 1926, S. 276.

6. Zirwas, Reinhold / Buchholz, Paul: Das genossenschaftliche Prüfungswesen. Grundzüge des genossenschaftlichen Prüfungs- und Berufsrechts, Berlin 1938, S. 24.