Selbsthilfe – Selbstverwaltung – Selbstverantwortung – Juli 1923:
Ein Lehrer und ein Pastor – klassische Initiatoren bei der Gründung einer Genossenschaft – so auch in Brandlecht
Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 175-7, Dokumentation 75 Jahre 1906 – 1981.
Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 175-7, Dokumentation 75 Jahre 1906 – 1981.

Lehrer Johann Wieking, Brandlecht und Pastor Wilhelm Wiarda, Hestrup – sie gründeten ausschließlich mit Landwirten (zehn Brandlechter und zwei Hestruper)

 

 

 

 

 

 

am 26. Juli 1923 die Spar- und Darlehnskasse eGmuH. Pastor Wiarda wurde Aufsichtsratsmitglied. Lehrer Wieking bekleidete ein Vorstandsamt und wurde der 1. Rendant der Bank bis zur 2. Generalversammlung.in 1924. Er führte die Bankgeschäfte nebenamtlich in seinem Hause.1

Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 73-2, Protokollbuch für Generalversammlungen, S. 1.

Im Gründungsprotokoll und in der Gründungssatzung am 26.07.1923 sowie am 13.09.1923 während der ersten Generalversammlung und der ersten Vorstands- und Aufsichtsratssitzung war er wieder einmal vor Ort und zum Schriftführer bestimmt worden: der wissenschaftliche Genossenschaftsbeamte der Landwirtschaftskammer Rudolf Rühling aus Hannover.

Durchaus interessant ist der TOP 5 des nebenstehenden Dokuments. Zeigt es doch, dass in den Gründungsgedanken auch „der gemeinschaftliche Bezug landwirtschaftlicher Bedarfsartikel“ diskutiert, aber dann wieder verworfen wurde.

Harm Vos, Hestrup Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 175-7, Dokumentation 75 Jahre 1906 – 1981.
Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 73-2, Protokollbuch für Generalversammlungen S. 4.
Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 172-3, Protokollbuch für Vorstand und Aufsichtsrat, S. 7.

Der Berater Rühling war auch am 06.05.1924 zur 2. außerordentlichen Generalversammlung wieder anwesend. An diesem Tag wurde in seinem Beisein der Landwirt Harm Vos in den Vorstand gewählt, da Lehrer Wieking sein Amt niedergelegt hatte. Er übernahm den Vorsitz im Vorstand und wurde von der Versammlung zum 2. Rendanten gewählt.  Die Geschäfte führte Harm Vos in seinem Wohnzimmer. Dort stand ein Schreibtisch sowie der Geldschrank der Kasse. Festgelegte Kassenzeiten gab es nicht. Diese wurden je nach Bedarf mit den Landwirten der Umgebung getätigt.2 Harm Vos war auch Bürgermeister (1921 – 1933) der Gemeinde.3 Insofern ist auch der Beschluss aus 1927 zum Kauf einer Schreibmaschine nachvollziehbar, dass diese im Eigentum der Bank bleiben sollte, aber von der Gemeinde mit benutzt werden durfte. Mehr Nachhaltigkeit geht nicht, oder ? Wen die Zinssätze aus der damaligen Zeit interessieren, kann diese in diesem Beschluss auch dokumentiert finden: Spareinlagen 7 %, Darlehen 9 %.

In dieser 2. außerordentlichen Generalversammlung wurde auch der Gedanke des gemeinschaftlichen Warenbezugs wieder aufgenommen und es wurden dazu auch Beschlüsse gefasst. Der zum Schriftführer gewählte Rühling protokollierte4 :

  • „zu 7 : Es wird einstimmig beschlossen, den gemeinschaftlichen Warenbezug einzuführen.“
  • zu 8: Es wird einstimmig beschlossen, § 2 des Statuts zu ändern. Er erhält folgende Fassung: Der Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Spar- und Darlehnskasse sowie als Nebenbetrieb der gemeinschaftliche Bezug landwirtschaftlicher Bedarfsstoffe und der gemeinschaftliche Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf gemeinschaftliche Rechnung zwecks Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft der Mitglieder.“ 
  • „zu 9: Es wird einstimmig beschlossen, die Mitgliedschaft bei der Zentralgenossenschaft der Osnabrücker landwirtschaftlichen Consumvereine e.G.m.b.H. in Osnabrück zu erwerben.“

In der folgenden Generalversammlung vom 03.11.1924 wurde die Aufnahme der vorgenannten Mitgliedschaft verworfen und die Aufnahme der Mitgliedschaft bei der „Haubtgenossenschaft in Hannover“ beschlossen. Weiterhin wurde für den Warenbezug eine Geschäftsordnung eingeführt und es wurden Vertrauensleute für die Umsetzung gewählt: „für Engden: Haussohn Stroot für Brandlecht Herr Landw. Hes; für Hestrup Herr Landw. B. Aschermann.“5 

Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 73-2, Protokollbuch für Generalversammlungen, S. 9.
Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 172-3, Protokollbuch für Vorstand und Aufsichtsrat, S. 6.

Zu einer außerordentlichen Generalversammlung trafen sich 30 Mitglieder am 26.03.1926. Der einzige Tagesordnungspunkt „Bau eines Warenlagers“ wurde einstimmig beschlossen. Für den Bau dieses Lagerraums wurde eine Baukommission eingesetzt. Vorausgegangen war der Vorstands- und Aufsichtsratsbeschluss vom 16.03.1926, der diesen Bau für unbedingt erforderlich ansah.

Ob dieses Vorhaben realisiert wurde, ist nicht dokumentiert, darf aber durch die nachfolgenden Entwicklungen bezweifelt werden. Denn am 16.03.1927 wurde die Molkerei Hestrup gegründet, die auch eine Warenabteilung für den Bezug von Futter-, Düngemittel und Saatgut und den Absatz von Getreide und Kartoffeln betrieb.6

Im Protokoll der Generalversammlung vom 05.06.1928 war ein bemerkenswerter Beschluss zu finden: „Die Übernahme der Garantie für die Anleihe der Molkerei-Genossenschaft Hestrup in Höhe bis zu 180.000 Reichsmark wird genehmigt.“ Weiterhin wurde beschlossen, die Mitgliedschaft bei der Hauptgenossenschaft Hannover zum nächstmöglichen Termin zu kündigen.7 Und die nächste Generalversammlung am 13.09.1929 beschloss „den gemeinschaftlichen Warenbezug einzustellen, da hierfür kein Bedürfnis mehr vorliegt.“ 

Quelle: Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 73-2, Protokollbuch für Generalversammlungen, S. 16.

Nachdem bereits die Mitglieder in 1933 darüber diskutiert hatten, 8 wurde auf der Generalversammlung am 25.10.1934 rechtskräftig beschlossen, die Ergänzung in § 2 des Status aus 1924 wieder zu streichen.9 Damit war die Episode des „gemeinschaftlichen Bezugs landwirtschaftlicher Bedarfsstoffe“ endgültig beendet. Aus einer Formulierung in einem Protokoll darf vermutet werden, dass dieses Geschäftsfeld nicht erfolgreich betrieben werden konnte.10

Auf der Generalversammlung vom 11.07.1933 kam es zu nicht weiter dokumentierten Unstimmigkeiten. Zu Punkt 2. „Vorlage und Genehmigung der Bilanz“ ist protokolliert: „Nach Vorlage und nach sehr eingehender Aussprache verweigert die Versammlung die Genehmigung derselben.“ Der Vorsitzende wurde beauftragt, sich „mit allen Gläubigern und Schuldnern zwecks Anerkennung ihrer Konten in Verbindung zu setzen.“ Unter Punkt 4 verweigerte die Versammlung die Entlastung des Vorstandes. Danach verkündete Harm Vos freiwillig von seinem Vorstandsmandat zurücktreten zu wollen. Daraufhin traten alle Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder freiwillig zurück und es kam in geheimer Wahl zu vollständigen Neuwahlen. Der Molkereiverwalter Holweg/Hestrup, der Landwirt Hes/Brandlecht sowie der Schuhmachermeister Sasse/ Engden bildeten den neuen Vorstand. In den Aufsichtsrat gewählt wurden Jäckering/Drievorden, Theißing/Engden, Friemann/Hestrup, Völker/Brandlecht und Wilmink/Hestrup.  11

Am 02.09.1933 wurde eine außerordentliche Generalversammlung einberufen, in der Molkereiverwalter Holweg (Vorsitzender des Vorstandes) über die inzwischen vorgenommene Prüfung der „Kasse“ und dem Abgleich mit den Kontoinhabern berichtete. Wesentliche Fehler wurden dabei nicht festgestellt. Daraufhin kam es zur einstimmigen Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 1932. Der Vorsitzende berichtete weiterhin über eine beabsichtigte Verlegung des Geschäftslokals, das nach Ansicht mehrerer Mitglieder erfolgen sollte. In einer Abstimmung sprach die Versammlung sich mehrheitlich dagegen und damit dem weiterhin amtierenden Rendanten Harm Vos das Vertrauen aus. Bei Interesse können Sie hier das ganze Protokoll nachlesen: 73-2 S 26-28 GV v. 02.09.1933 Entlastung f. VS, Vertrauen f. Vos, keine Verlg., Einst. Warenbezug

Die Spar- und Darlehnskasse Brandlecht eGmuH erlebte aber weiter unruhige Zeiten. Verluste in 1933 prägten das Geschehen. In Folge dessen wurde 1935 sogar die Auflösung in Erwägung gezogen.12 Hierüber erfahren Sie mehr im Teil 2.

 

 

1. Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 180-3, Gründungsunterlagen.

2. Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 180-1, Dokumentation 75 Jahre 1906 – 1981 Teil 4.

3. Chronik Brandlecht-Hestrup S. 382, 1992

4. Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 73-2, Protokollbuch für Generalversammlungen, S.3 u. 4.

5. Ebd., S. 5.

6. Albert Rötterink, Das Genossenschaftswesen in der Grafschaft Bentheim, S. 31 u. 35.

7. Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 73-2, Protokollbuch für Generalversammlungen, S.14.

8. Ebd., S. 27.

9. Ebd., S. 31.

10. Ebd., S. 26. Antrag Harm Vos.

11. Ebd., S. 24.

12. Archiv der Grafschafter Volksbank eG, 172-3, Protokollbuch für Vorstand und Aufsichtsrat, S. 87.