Das heutige Zentralinstitut der Volksbanken Raiffeisenbanken in Deutschland, die DZ BANK (Sitz in Frankfurt am Main), wurzelt in der „Preußenkasse“.1 Gegründet wurde die Preußenkasse 1895 als „Preußische Central-Genossenschaftskasse“, aber kurz immer nur „Preußenkasse“ genannt. Die Preußenkasse war das erste überregionale Finanzinstitut der Genossenschaften.

Es gab nicht nur Befürworter dieser Einrichtung. Einige Gegner sahen – da die Preußenkasse ein öffentlich-rechtliches Finanzinstitut war – die genossenschaftliche Selbsthilfe beschnitten. Die Preußenkasse, deren Initiative auf Johannes von Miquel zurückging, hatte ungeachtet aller Kritik „nachhaltigen Einfluss auf die langfristige Entwicklung der Genossenschaftsbewegung“.2

Johannes von Miquel ? Der Name kommt Ihnen bekannt vor? Ja, ein Sohn der Stadt Neuenhaus war der Initiator der Preußenkasse.

Quelle: Stiftung Genossenschaftshistorisches Informationszentrum – Berlin, F-649, Johannes von Miquel

 

Dieser Sohn der Stadt Neuenhaus ist freilich vielen heute noch in Neuenhaus bekannt. Zumal auch die Miquelstraße an seine Familie erinnert. Neben dem Wikipedia-Eintrag bietet der Heimatverein Grafschaft Bentheim in seinen Jahrbüchern mit den Beiträgen

  • „Alte Neuenhauser Geschlechter“ – Miquels Ahnen – von Dr. Ludwig Edel,
  • Johannes von Miquel (1828 – 1901) – von Hermann Josef Theler,
  • Dr. Miquels Söhne auf der Göttinger Hochschule – Zur Geschichte einer Grafschafter Familie – von Rudolf Lembocke,

einige Literatur, um sich schnell und intensiv über das Wirken von Johannes von Miquel zu informieren.

Er war „<nur> in der kommunalen Verwaltung, im privaten Bankwesen und (parlamentarisch und – ab 1890 – als Minister) in der Politik tätig. Als Abgeordneter und Minister war die große Politik sein Feld – von den zahlreichen innenpolitischen Bemühungen zur Reichseinigung seit den 1860er-Jahren über die Eindämmung beziehungsweise Einbindung der Sozialdemokratie bis zur Steuer- und Haushaltsreform-, Agrar-, Außenhandels- und Kolonialpolitik. Die Förderung der Kreditgenossenschaften bildete einen sichtbaren Teil seiner politischen Arbeit nur in der zweiten Hälfte seiner Ministertätigkeit (1895 – 1901). Der Parlamentarier und Minister Miquel hat seinen Platz in der Literatur zur allgemeinen Geschichte des deutschen Kaiserreiches. Sie nennt ihn <eine der großen Persönlichkeiten der Reichsgründungszeit> und (als preußischer Minister) <eine der mächtigsten Gestalten der deutschen Politik>.“ 3

Quelle: Stiftung Genossenschaftshistorisches Informationszentrum – Berlin, FP.B-1.164,

Land auf, Land ab ist es heute weniger bekannt, dass er als preußischer Finanzminister der Gründer der Preußenkasse war.

Quelle: Stiftung Genossenschaftshistorisches Informationszentrum – Berlin, FPK-0001.026,

Die neuere wissenschaftliche Literatur, die im Auftrag der DZ BANK in den vergangenen Jahren entstanden ist (u.a. „Die Geschichte der DZ BANK“, 2013 und „Sozialreformer, Modernisierer, Bankmanager“, 2016) würdigt sein Engagement ausdrücklich und kontextualisiert seine Politik und sein Tun: 4

Die Gründung der Preußenkasse gehörte zur Reaktion Miquels auf eine ab 1892/93 wahrgenommene Doppelkrise. Der als <Staatsfundament> geltende ländliche Grundbesitz, gerade auch der Mittelbesitz, schien sich in Richtung auf eine existenzgefährdende Verschuldung zu bewegen und dies zu einem Zeitpunkt, in dem seine Widerstandsfestigkeit besonders gefragt war: Miquel hatte den in den Anfangsjahren des <Neuen Kurses> gehegten Glauben verloren, Sozialdemokratie und Arbeiterschaft könnten für den monarchischen Staat gewonnen werden; und auch beim Bauernstand fürchtete er Umsturzanfälligkeit. An die Stelle der Arbeiter-Sozialpolitik traten nun eine Repressionspolitik und ein (vor allem bäuerliche) Mittelstandspolitik.“ 5 Weiter können wir lesen: „Die Preußenkasse zur Förderung des Personalkredits war nur ein Element, wenn auch vielleicht das Schlussstück, innerhalb eines umfassenden agrarischen Reformprogramms zur Befestigung des bäuerlichen Mittelbesitzes.“ 6

Bei der Lesung zur Gesetzgebung im Preußischen Abgeordnetenhaus sahen viele in Miquels Plänen hierdurch einen Weg, um Genossenschaften den Zugang zu staatlichen Kreditmitteln zu ermöglichen, da aufgrund der kleinen Größe der Genossenschaften ihnen der Zugang zu Reichsbankmitteln kaum möglich war. Andere Befürworter stellten die Geldausgleichsfunktion in den Vordergrund: Ein gesamtpreußisches Institut könne Einlagenüberschüsse von einigen regionalen Zentralkassen verwenden, um regionalen Bedarf in anderen Regionen zu vermitteln. Auch der saisonbedingte Kreditbedarf der Landwirtschaft wurde als Argument angeführt, da einer staatlich getragenen Institution der Zugang zum breiten Geldmarkt eher offen stehe, als auch den damals vergleichsweise kleinen regionalen Zentralkassen. Die unterschiedlichen Kreditbedingungen zwischen den westlichen und östlichen Provinzen wurden ebenfalls diskutiert. Von Miquel selber sah die Preußenkasse als eine Art Entwicklungsbank, um neue Genossenschaften mit Liquidität zu versorgen, denen es nach der Gründung schwer fiel, Einlagen für den Geldkreislauf unter den Mitgliedern einzuwerben. Er verband mit der neuen Institution die Aussicht, die Zahl der Genossenschaften im damaligen Königreich Preußen beträchtlich erhöhen zu können: 7 „Wir müssen dahin kommen, dass wir im Grossen und Ganzen eine Darlehnskasse haben, in jeder Gemeinde der ganzen Monarchie. An diesen Darlehnskassen müssen sich die anderen  Produktivgenossenschaften, die Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften anschliessen, dass das ein grosses Netz werde, namentlich für den mittleren und kleineren Grundbesitz aber auch, wie der Geschäftsverkehr mit den landwirtschaftlichen Kreditkassen erweist, in erheblichen Masse nützlich auch für den grösseren Grundbesitz.“ 8

Timothy Guinanne kommt in seinen Ausführungen zu dem Ergebnis: Der nachhaltigere Beitrag der Preußenkasse bestand darin, eine in der Entstehung begriffene Struktur zu festigen, die auch heute noch die deutsche Genossenschaftsbewegung kennzeichnet. 9

Johann von Miquel – Sohn der Stadt Neuenhaus – hat die Entwürfe und Vorlagen in den entscheidenden Verhandlungen persönlich vertreten: vorwärtsdrängend, in der großen Begründung mit Leidenschaft, in der Einzelberatung versiert. 10 Er hat sich somit mit seinem persönlichen Einsatz und seiner festen Überzeugung um das Genossenschaftswesen verdient gemacht. Der Gründer der „Preußenkasse“ kommt aus Neuenhaus!

 

 

1. Timothy Guinnane: Zwischen Selbsthilfe und Staatshilfe. Die Anfänge genossenschaftlicher Zentralbanken in Deutschland (1864-1914), in: Institut für bankhistorische Forschung (Hg.): Die Geschichte der DZ BANK. Das genossenschaftliche Zentralbankwesen vom 19. Jahrhundert bis heute, München 2013, Seite 77 ff.

2. Ebd., S. 77.

3. Dieter Lindenlaub: Johannes von Miquel (1828-1901), in: Institut für bankhistorische Forschung (Hg.): Sozialreformer, Modernisierer, Bankmanager. Biographische Skizzen aus der Geschichte des Kreditgenossenschaftswesens, München 2016, Seite 97 ff.

4. Ebd., S. 98.

5. Ebd., S. 144.

6. Ebd.

7. Timothy Guinnane: Zwischen Selbsthilfe und Staatshilfe: Seite 78 und 79.

8. Ebd., S. 79, zit. n. Busche: Gründungsgeschichte, S. 89 – Von Miquel äußerte dies im Abgeordnetenhaus während der Debatte um den Etat der Preußenkasse.

9. Ebd., S. 143.

10. Dieter Lindenlaub: Johannes von Miquel, Seite 105.